Schenkkreise: Eine Mail an Bekannte

Geschrieben im Juli 2002 von Moritz Both.

Die folgende Email habe ich an einige Bekannte geschickt, nachdem mir von immer mehr von ihnen bekannt wurde, dass sie bei einem sogenannten "Schenkkreis" mitmachen. "Schenkkreise", "Herzfrauen" oder "Herzkreise" sind derzeit kusierende Formen von Pyramidensystem-Spielen, bei denen sich die TeilnehmerInnen unter dem Deckmantel sozialer Wohltaten gegenseitig betrügen. Ich finde das schlimm und habe sie daher mit dieser Mail versucht, davon abzubringen.

Einige unwichtige Erläuterungen: Die meisten EmpfängerInnen dieser Mail waren wie der Autor TeilnehmerInnen an einem Revue-Projekt, bei dem unter anderem eine Figur "Jessi" mitspielte; das ist also keine reale Person. Jessi kannte sich gut aus mit Chakren, besonders mit dem Wurzelchakra.

Es gibt sieben Haupt-Chakren, aber keins davon nimmt am Schenkkreis teil!

- Sogar Jessi hat die Schenkkreise durchschaut! -

Liebe Revue 2002!

Schon während unseres gemeinsamen Projekts habe ich von dem oder den "Schenkkreis/en" gehört, bei dem oder denen einige von Euch mitmachen oder bei denen zumindest einige interessiert sind. In dieser Email möchte ich versuchen, Euch davon abzubringen, bei diesen Veranstaltungen mitzumachen.

Ich nenne das ganze im Folgenden nicht mehr nur Schenk-Kreis oder ähnlich, sondern auch Pyramidenspiel. Das scheint einer der verbreitetsten Namen für diese Art von Spiel zu sein, bei denen die Grundregeln immer gleich sind und die im besten Fall auf Betrug hinauslaufen, egal, wie man es dreht und wendet. Beim "Schenk-Kreis" wird anstatt des Bildes einer Pyramide ein Kreis verwendet, der sich teilt; es ist nicht schwer, dasselbe System auf eine Pyramide abzubilden.

Diese Mail wird Euch vielleicht klugscheißerisch und / oder oberlehrerhaft vorkommen. Tatsächlich habe ich lange gezögert, dieses Thema von mir aus aufzubringen. Mit manchen von Euch hätte ich z.T. mehrere gute Gelegenheiten gehabt, darüber zu reden. Der Grund dafür ist vor allem, dass wir uns ja zumeist nicht sehr gut kennen und ich daher den Konflikt gescheut habe. Ich wusste nicht, was dabei herauskommen würde und ob man sich - übertrieben ausgedrückt - danach überhaupt noch angucken würde. Das möchte ich natürlich vermeiden. Dennoch kann und will ich nicht den Mund halten, wenn da etwas in meiner unmittelbaren Umgebung passiert, was ich schlimm finde und bei dem ich glaube, etwas dazu sagen zu müssen. Insofern riskiere ich also, ggf. überheblich zu wirken und manche vor den Kopf zu stoßen.

Ich weiß nicht alles über diese Ausprägung des Pyramidenspiels. Wahrscheinlich weiß ich nicht mal das meiste. Dennoch meine ich, dass mein Wissen genügt, um die Veranstaltung beurteilen zu können. Ich weiß folgendes:

Das Spiel setzt sich eigentlich aus zwei Aspekten zusammen, dem finanziellen "Spiel"gedanken und dem sozialen Prozess.

1. Der "Spiel"-Gedanke

Anlass der Treffen ist es, das eigentliche Pyramidenspiel zu spielen. Es existieren verschiedene Pyramidenspielkreise, in denen der Einsatz jeweils verschieden hoch (10, 100, 500, 5000 Euro - mehr?) ist. Abhängig von der Höhe des Einsatzes im jeweiligen Kreis kann man durch ein Geld"geschenk" in der jeweiligen Höhe einkaufen. Durch den Einkauf erhält man einen Platz im Kreis ganz außen ("D"). Nunmehr hat man die Aufgabe - zusammen mit den anderen Mitspielern -, weitere Personen für den Kreis anzuwerben.

                     ---D-------D---
                    /                \
                   /     _________    \
                  D     /   ___   C    \
                 /     C   /   \   \    D
                 |    /   B     |   |   \
                 |    |   |  A  |   |    |
                 |    |   |     B   /    /
                  \    \   \___/   C    /
                   D    C         /    D
                    \    \_______/    /
                      \              /
                       --D-------D--/

"Beschenkt" wird auf jeden Fall die Person in der Mitte des Kreises (an der Spitze der Pyramide, "A"). (Bei machen Pyramidenspielen bekommen auch die Mitspieler auf den Plätzen "C" Geld, um ihre Einsätze sofort wiederzuerhalten, ob das hier so ist, weiß ich nicht.) Person "A" erhält also ein Vielfaches ihres Einsatzes (den sie zahlte, als sie "D" wurde).

Ist der äußere Kreis, bestehend aus offenbar acht Personen, voll, sind also alle Plätze belegt, so teilt sich der Kreis; es entstehen also zwei Kreise. Person "A" fliegt raus (und kann von vorne anfangen, wenn sie will). Alle Personen rücken eine Position weiter in die Mitte. Die "D"s werden zu "C"s, "C"s zu "B"s und die beiden "B" aus dem ursprünglichen Kreis werden zu "A"s.

Es gilt jetzt, die Plätze "D" wieder zu füllen. Gesucht werden jetzt pro Kreis acht neue "D" Mitspieler, die den jeweiligen Einsatz an die neuen "A"s zahlen. Womit sich "der Kreis schließt" und das Spiel von vorne beginnt. Pro Kreis acht bedeutet also, sechzehn.

Wer nur annähernd in Mathe aufgepasst hat, kann sich ausrechnen, wie lange das gut geht, bis die letzten "D" Mitspieler auf ihrem Einsatz sitzen bleiben und keinen Cent zurück bekommen. Nach zwei Runden werden 32 neue Personen gebraucht, nach dreien 64 - ich erspare uns mal die gesamte Aufzählung: Es spielen mit

alle Revue-TeilnehmerInnen  (16)      nach 1 Runde
alle ZuschauerInnen         (450)     nach ca. 5 Runden
alle HannoveranerInnen      (500 000) nach ca. 15 Runden
alle Deutschen              (80 Mio.) nach ca. 22 Runden
und alle Menschen           (6 Mrd.)  nach ca. 29 Runden.

(Für Mathefans: TeilnehmendePersonen = 16 mal (2 hoch AnzahlDerRunden)).

Dieser recht offensichtlichen Rechnung wurden mir gegenüber zwei Argumente entgegengesetzt: a) Viele würden ja öfter mitspielen und b) ich sehe es ja mathematisch ein, aber das funktioniert einfach irgendwie anders.

Während man zu Punkt a) ganz einfach sagen kann, selbst wenn jeder 10mal gleichzeitig mitspielt, wird das das Problem der explosionsartig ansteigenden TeilnehmerInnenzahl nur um wenige Runden (nämlich zwei bis drei) verzögern, kann ich zu b) nichts sagen außer: Doch Leute, so funktioniert es. Der mathematische Beweis der Unmöglichkeit der Dauerhaftigkeit dieses Spiels ist absolut. Es gibt allerdings auch noch weitere Aspekte des Spiels, auf die ich weiter unten komme.

Man sieht also, das Spiel endet, es "stirbt" zwangsläufig. Im besten Fall führt das dazu, dass die letzten "D"s nur ihr Geld verlieren.

Das Risiko des individuellen Verlusts des Geldes halte ich für mehr oder weniger unwichtig. Wer mitspielt, wird sich darüber in den meisten Fällen klar sein, dass es schief gehen kann - wenn einfach nicht genug "D"s gefunden werden. Schlimmer ist, dass ihr andere werben (vielleicht nicht explizit überreden, aber dennoch: werben) werdet, um das Spiel am laufen zu halten, und dieses Werben ist der Punkt, wo der Spaß aufhört.

Eben weil das Spiel stirbt, jede/r aber hofft, dass es so lange weiter lebt, bis sie oder er "A" ist, werden die "neuen" im vollen Bewusstsein geworben, dass sie ihr Geld verlieren können; und auch in vollem Bewusstsein, dass auf jeden Fall spätestens einige Spiel-"Generationen" später Leute ihr Geld verlieren WERDEN. Mit anderen Worten, ihr bringt Leute in das Spiel, aber ihr sagt ihnen nicht, dass es sterben wird; ihr sagt ihnen nicht, dass es in wenigen Runden zu Ende geht und wie das Ende aussieht; ihr reproduziert in eurem eigenen Interesse das Spiel, an dessen Ende Leute mindestens ihr Geld verlieren. Ihr bringt die Leute am Ende um ihr Geld. Vielleicht nicht die, die ihr werbt, aber es werden welche um ihr Geld gebracht, das ihr hofft, einzustecken. So ein Verhalten nennt man - Betrug.

2. Der soziale Prozess

Der zweite Aspekt ist die gute Atmosphäre bei den Treffen, die von einigen von Euch hervorgehoben wird.

Dazu kann ich natürlich weniger sagen, aber es scheint eine Atmosphäre des Vertrauens vorzuherrschen. Es wird zwanglos getroffen, diskutiert und geredet über alles mögliche, so viel habe ich mitgekriegt - und im Rahmen der Treffen werden natürlich die "Schenkungen" durchgeführt, die in Wahrheit Spieleinsätze sind, und es werden neue "D"s zum Mitspielen animiert.

Es wird betont, dass niemand zum Mitmachen überredet wird. Es wird auch betont, dass ein "Gewinn" nicht garantiert ist. Es wird davon abgeraten, mitzumachen, wenn man es sich nicht leisten kann. Durch solche Ratschläge wird natürlich auch Vertrauen geschaffen.

Dass die Stimmung bei diesen Treffen gut ist, wundert mich nicht wirklich. Die, die weiter innen im Kreis stehen, werden natürlich mit viel Engagement versuchen, gute Atmosphäre zu schaffen, damit neue Leute zum Mitspielen bewegt werden. Mit vielerlei Methoden wird versucht, die "neuen" zu integrieren, damit das Spiel vorläufig weiterläuft. Dazu gehört vermutlich auch, die Fragen der neuen zu beantworten; zu versuchen, ihre Bedenken auszuräumen; sie in ihren Bedenken usw. ernst zu nehmen; ehrlich zu sein, um Vertrauen zu schaffen; ihnen anzubieten, zunächst in einem Kreis mit geringem Einsatz mitzuspielen, um es "erst mal auszuprobieren" usw. Hier ist die zweite große Gefahr: Abhängig davon, wen ihr so erwischt, wird die gute Atmosphäre und die Stimmung des Vertrauens unterschiedlich stark beeindrucken. Je mehr die Person, vielleicht aufgrund ihrer Lebenssituation, von dem guten Gefühl in der Gruppe beeindruckt ist, desto größer ist die Gefahr, neben Geld auch noch Herzblut zu verlieren. Die Gefahr der Enttäuschung ist in vielerlei Hinsicht groß, wenn Freundschaft und Geld direkt miteinander verbunden werden, nicht wahr? Was ich meine, können die "Lassie Singers" besser singen, als ich es formulieren kann:

  Weißt du noch, das Flugzeugspiel
  wenn ich dran denke, krieg ich zu viel
  viele Piloten lernte ich kennen
  doch an einem blieb ich hängen
  
  er war Pilot, ich war nur Passagier
  er abgeflogen, ich immer noch hier
  am Anfang war alles so toll
  doch mein Flugzeug wurde nie voll

  Mein Exfreund leihte mir das Geld
  jetzt geh ich putzen in der neuen Welt
  meine Freundin kennt mich nicht mehr
  hat alles verloren, und das war nicht fair

  Die Abgestürzten fanden keinen Halt
  denn sie waren nicht angeschnallt
  in der Luft gibt es kein Zurück
  doch auf dem Meer such ich jetzt mein Glück
  
  (Lassie Singers, "Flugzeugspiel", 1994, CD "Stadt Land Verbrechen".
  Das Flugzeug- oder Pilotenspiel war Ende der 1980er, Anfang der
  1990er recht verbreitet in Berlin, so viel ich weiß. Die "A"s hießen
  Piloten, wenn alle "D"s da waren, hieß es, das Flugzeug hebt ab (der
  Pilot wird natürlich bezahlt), und es ging um richtig viel Geld.)

Im "Schenkkreis" gibt es offenbar einen Haufen Bezüge in eine Richtung, die ich mal allgemein als "Eso" bezeichne. Auf www.schenkkreise.de wird gesagt:

"Die Schenkkreise sind Gruppen von Menschen, die die gemeinsame Intention teilen, sich und anderen zu helfen, Träume und Lebens-Visionen zu erfüllen. Wir glauben an das universelle Gesetz: Alles was wir frei geben, kommt vielfach zu uns zurück. Beides, sowohl freies Geben als auch offenes Empfangen, sind essentiell für wirkliche Vollendung in unserem Leben."

Hier werden also schöne "universelle Gesetze" zitiert, die wir alle schon mal gehört haben - und die wir auch gerne glauben möchten, weil sie so schön klingen, und die bestimmt auch ihren wahren Kern haben -, um den Betrug an den Gefühlen und am Geldbeutel zu rechtfertigen.

Wenn ihr das finanzielle Interesse in den Hintergrund stellt, und sagt, es ginge vor allem um die Leute, um das Schenken, um das Vertrauen, um die Atmosphäre, und das Geld bzw. der Gewinn spiele nur eine untergeordnete Rolle, so geht es mir eigentlich doppelt unter die Haut. Es mag ja für Euch bzw. für einzelne zutreffen, aber doch nicht für alle! Es bleiben doch welche auf der Strecke. Ihr übernehmt für diese Leute nicht die Verantwortung, wenn ihr sagt, "jeder ist für sich selbst verantwortlich" oder "mach nur mit, wenn du ein gutes Gefühl dazu hast" - beides sind Ausreden, die verschleiern, dass ihr auf Kosten anderer Leute Gewinn machen wollt. Vielleicht wollt ihr nicht nur finanziellen Gewinn machen, sondern meint, dass die Gruppe euch emotional, universell, wie soll ich sagen, persönlich weiter bringt, aber auch das geht fast mit Sicherheit auf Kosten anderer, die bitter enttäuscht werden müssen.

Manche neue TeilnehmerInnen müssen offenbar ihre Einlage gar nicht selber zahlen. Das wird auf www.schenkkreise.de "Sponsoring" genannt. Dabei wird der/dem neuen "D" der Anfangsbetrag geschenkt. Ich glaube aber nicht, dass das mehr als Einzelfälle sind. Sicherlich "lebt" der "Schenkkreis" (vorübergehend) vom Glaube der TeilnehmerInnen, von denen mache offenbar bereit sind, die Einsätze anderer zu übernehmen. Glaube ist hier übrigens sehr passend, es mutet doch recht religiös an - man versucht Halt zu finden in einer Gemeinde in "unserer schweren Zeit" und schaltet dafür gerne auch Erkenntnisse und Logik aus. Bis die Veranstaltung endet, der "Schenkkreis" nach wenigen Runden stirbt und die letzten von den Hunden gebissen werden. Unter Umständen merken einige dieser letzten das nicht mal und fangen wieder von vorne an.

Wenn es euch tatsächlich um das "Energiefeld, Heilenergie, Teilen von Freude" (www.schenkkreise.de) und andere Gruppenerfahrungen geht, warum braucht ihr dann bloß ein Pyramidensystem? Wenn es um die Gruppe, um den sozialen Kontakt geht, wenn es sogar um gegenseitiges Vertrauen und Helfen geht, dann helft euch doch. Dann seid doch sozial. Dann baut Beziehungen auf. Dann schafft Vertrauen. Bemüht Euch um Beziehungen. Das ist schwer, es ist vielleicht das schwierigste überhaupt, das wisst ihr natürlich. Beziehungen und Vertrauen zu haben und zu pflegen und zu halten ist wunderbar, es ist aber auch sehr mühevoll. In dem Moment, wo ein Patentrezept aufkommt, über das das plötzlich leicht wird, wo plötzlich mehr oder weniger alle zueinander Vertrauen haben und wo angeblich Geld verschenkt wird, sollten bei jedem erwachsenen Menschen in unserer Kultur Alarmglocken schrillen.

Es gibt kein Geld umsonst, es sei den, auf Kosten anderer.

Es gibt ebenso kein Vertrauen umsonst, es sei denn, auf Kosten anderer.

Es gibt auch keine FreundInnen umsonst. Nicht mal auf Kosten anderer, denn dann sind es keine FreundInnen.

Es offenbar auch eine Reihe von Psycho- und Geld-Sekten bzw. Firmen, die mit Pyramidenspielen bzw. Schneeballsystemen versuchen, Geld zu verdienen. Ob auch eine Firma oder irgendeine (zentrale) Organisation hinter Eurem "Spiel" steht, weiß ich nicht, ich nehme an, dass nicht.

Ich bin für jede Diskussion über dieses Thema offen, allerdings nicht in jedem Rahmen. Ich bin eingeladen worden, doch mal ganz unverbindlich vorbeizukommen bei einem der Treffen. Das werde ich nicht tun, denn es hieße, bereits den ersten Schritt zu tun und eben teilzunehmen. Daran habe ich wirklich kein Interesse.

Viele Grüße Moritz

Weiter: Fragen und Antworten, Argumente und Gegenargumente


Letzte Änderung dieser Seite: 01.06.2004 © 2002-2004 Moritz Both. Alle Rechte vorbehalten. Für namentlich gekennzeichnete Beiträge liegt das Urheberrecht bei den jeweiligen AutorInnen. - Kontakt & Impressum