Schenkkreise: Spiritualität und Mathematik.

Oder: Wieso wir Frauen besseres verdienen als eine Kreuzung aus kapitalistischer Ausbeutung und Marias unbefleckter Empfängnis

06.06.2003

Von Judith Horbach, Email: judithhorbach {at} web.de

Ich werde seit einiger Zeit oft von Freundinnen und Bekannten angerufen, von denen ich lange nichts mehr gehört habe. Oder die ich kaum kenne. Das ist schön. Denn die Frauen sind nett. Sie wissen, dass ich es verdient habe, meine Träume zu verwirklichen. Und dabei wollen sie mir helfen.

Dazu reden sie von Dingen, die ein Wissen wach werden lassen, was in meinem von viel Arbeit geprägten Alltag oft verloren geht: Das das Leben Fülle ist und als perpetuum mobile immer wieder unendliche Fülle hervorbringt. Nicht nur geistige, sondern auch materielle. Leider hat man(n) – so sagen sie - so vieles in der Welt etabliert, was uns Frauen von dem Erleben wahrer Fülle entfremdet: Wirtschaftliche Ausbeutung, lebensfeindliche Gesetze, das Finanzamt und die nur auf kaltes Kalkül ausgerichtete Mathematik. Traurig, dass dadurch unsere weibliche Intuition, durch die wir Frauen so viel näher am wahren Leben dran sind, nicht zum Zuge kommt. Ganz zu schweigen von all unseren anderen guten Eigenschaften: Die Fähigkeit, Netzwerke zu schaffen, in denen alle profitieren. Die Verbindung von Selbstliebe und sozialem Denken. Und die Fähigkeit, im Kreislauf von loslassender Hingabe, Empfängnis und Geburt immer neues Leben, immer neue Fülle zu schaffen. Wir Frauen haben es verdient, höre ich, uns mit all diesen wunderbaren Fähigkeiten gegenseitig zu unterstützen, ein subversives Frauennetzwerk aufzubauen und der männlichen Ökonomie, bei der wir seit Ewigkeiten zu kurz gekommen sind, ein Schnippchen zu schlagen: Wir machen unser eigenes System, in dem wir Kraft unserer weiblichen Energie einen Kreislauf schaffen, der ewig neues Geld produziert. Keinen, der nur von Verstand und Gewinnstreben geleitet ist, sondern einen guten, nährenden, einen herzlichen Kreislauf: Einen Herzkreis.

Kennst Du die Herzkreise? Das ist es, was mir meine Anruferrinnen, nachdem sie sich fürsorglich nach meine Befinden im allgemeinen und meinem materiellen Befinden im besonderen erkundigt haben, fragen. Und mir natürlich eine Teilnahme an demselben sozusagen dringend ans Herz legen.

Herzkreis – das klingt schön. Und weckt Sehnsüchte. Denn materielle Not, ein zu hohes Maß an Arbeit für Brot und ein zu geringer Prozentsatz von Traumerfüllung erzeugen ein Gefühl von Einsamkeit, ein Gefühl, von der nährenden „Mutter Leben“ verlassen zu sein. Wo das Leben schwer oder unerfüllt erscheint, wächst die Sehnsucht nach einer unterstützenden Gemeinschaft, in der alle Probleme gelöst werden, ins Unendliche. Nach der Gruppe, die Kraft einer geheimnisvollen gemeinsamen Energie uns von der Last irdischer Gesetzmäßigkeiten, Hans Eichel, dem langweiligen Job oder was auch immer befreit und uns einen Parkplatz direkt unter Fortunas Füllhorn verschafft. Und wenn frau dann auch noch scheinbar einen Weg gezeigt bekommt, wie sie zur finanziellen Fülle kommt wie die Jungfrau zum Kinde – nämlich unschuldig und rein von so niederen Motivationen wie Egoismus und Gier – scheint das Glück bzw. die Verheißung desselben perfekt.

Wenn nur die blöde Mathematik nicht wäre. Die sagt nämlich, dass es sich nicht um ein zirkuläres sondern um ein exponentielles System handelt. Und das nicht vielleicht, sondern ganz unmissverständlich. Damit bricht die Idee vom Kreis wie ein Kartenhaus zusammen oder – um mal eine passendere Metapher zu wählen – schmilzt, wie ein Schneeball in der Sonne. Denn alle Schneeballsysteme – was die Herzkreise offensichtlich sind - kollabieren zwangsläufig. Und sie hinterlassen immer eine kleine Gruppe Gewinner und eine große Gruppe Verlierer.

Also gibt es bei dem, was mir meine Anruferrinnen empfehlen keinen Kreis, kein ewiges zirkulieren von Energie sprich Geld. Es gibt eine riesige Gruppe von Frauen, die daran ihr Geld verlieren. 87,5 % um genau zu sein. Geld dadurch zu bekommen, dass pro Kopf mindestens 7 Frauen verlieren hat außerdem wenig mit Herz zu tun, eher mit den Nieren an die es geht, wenn man das Ganze einmal zuende denkt. Also ist der ganze „Herzkreis“ im Grunde wie des Kaisers neue Kleider: Nicht vorhanden. Übrig bleibt ein Pyramidenspiel in neuer und diesmal besonders perfider Verpackung, eine Pyramide im herzlich gefärbten Kreismantel, Ausbeutung im spirituellen Pelz.

Das sagt mir die Mathematik. Die Herzfrauen seufzen angesichts des Wortes „Mathematik“ voll mitleidiger Nachsicht und geben Dinge von sich wie: "’Mensch’ an sich ist immer in der Lage alle mathematischen Aspekte lügen zu strafen - weil wir nun mal auch das ‚chaotische’ Element in uns haben - was nicht so sehr mathematisch, wie eher schöpferisch ist.“*

Aha. Hat sich die Frau mit Chaosforschung oder mit neuer Physik beschäftigt? Mit Evolutionstheorien, die beschreiben, dass alle Entwicklung in Sprüngen und nicht linear verläuft? Hier wird es spannend – hat sie irgendwo in der Schöpfung etwas gefunden, wo aus einem exponentiellen ein zirkuläres System wird?

Ich habe mich daraufhin ein wenig mit der Frage nach Schöpfung und Mathematik beschäftigt. Und dabei herausgefunden, dass es zwar immer wieder mehr als Mathematik gibt und überall eine feine Unschärfezone bleibt, in der Neues, Schöpferisches und Unerwartetes geschieht. Ich habe auch spannende physikalische Herleitungen von Phänomenen wie Synchronizität – dem zeitgleichen Auftreten von Ereignissen, die nicht in kausalem, sondern in sinnhaftem Zusammenhang stehen – gefunden. Aber ich habe nichts gefunden, was der Mathematik entgegenläuft. Vielleicht überwindet die Schöpfung die Mathematik, niemals kehrt sie sie aber um. Es scheint vielmehr so zu sein, als sei das mathematisch Erfassbare das kristalline Gerüst, in der das Leben mit seiner schöpferischen Eigendynamik pulsiert. Die Negation der mathematischen Komponente des Lebens wird vitalen Prozessen in keinster Weise gerecht. Sie zu ignorieren oder zu verteufeln kommt einer Regression ins Mittelalter gleich, wo die Untersuchung der Gesetzmäßigkeiten der Welt Gallileo Gallilei den Tod brachte.

Gott-sei-dank durften wir dann doch irgendwann denken und mussten nicht mehr nur glauben. Und irgendwann durften sogar wir Frauen unseren Verstand einsetzen - was für ein Gewinn! Meine herzlichen Herzfrauen wollen davon aber nichts wissen. Sie finden mich verkopft, was heißen soll: Weg von unserer wahren, weiblichen Natur, die intuitiv st, die an Energie glaubt, die schenken und geben und empfangen will. Warum unsere reinen Herzen mit Mathematik – eine Disziplin eines patriachalen Satans – belasten. „Verlass' Dich lieber auf Deine Frauen, auf die Energie, auf Dein GLÜCK, oder eine gute Phase... auf eine "weiche", unterstützende Grundstimmung in Deinem Kreis und Deiner Umgebung, als auf die mathematischen Berechnungen.“

Hat Maria nicht auch unbefleckt empfangen, obwohl die Biologie dagegen sprach? Können die Herzfrauen also nicht ebenso reinen Gewissens und voller guter Gedanken empfangen, obwohl die Mathematik sagt, dass sie andere Frauen ausbeuten?

Wer sich der Faszination der Herzkreise annähern will, muss die Sehnsüchte verstehen, die die Metaphorik weckt.

Sie rührt Sehnsüchte an, die ich auch habe. Wo sonst kann man glauben, ohne Arbeit reich zu werden und sich auch noch sozial dabei fühlen? Und ist die Verführung nicht unglaublich groß, endlich, endlich, endlich der Verheißung, dass das Leben für die Erfüllung meiner Wünsche sorgt, so nah zu sein? Zurück an die Brust der guten Mutter, die uns nährt und beschenkt ohne dafür etwas zu bekommen. Die aus einer geheimnisvollen Quelle immer neue materielle Nahrung – in dem Fall Geld – produziert, ohne das wir ihr einen Gegenwert bieten müssen, aus dem dieses Geld entstehen kann.

Besonders meine Generation – ich bin 33 Jahre alt – ist mit der Vorstellung aufgewachsen, dass das Leben eine Inszenierung der eigenen Träume zu sein hat und die unendliche Selbsterfahrungsgruppen gemacht hat, wenn sich das Leben hartnäckig der Wunscherfüllung verweigerte. Daraus sollte dann das richtige Bewusstsein entstehen, das alles, aber auch wirklich alles wahr machen kann. Und wenn es dann doch nicht funktionierte, war das Bewusstsein nicht richtig und muss bearbeitet werden. Nur auf einem solchen Boden kann die Vorstellung wachsen, dass Kraft des eigenen Bewusstseins ein ewig Geld produzierender Kreislauf entsteht.

Ein weiterer Faktor ist allerdings, dass die Haltung „Das Bewusstsein produziert das Sein“ entweder mythisch verklärt wird, oder aber vollkommen negiert. Wo eine existierende Verbindung zwischen Geist und Materie nicht einen Platz im Alltagsleben hat, werden Menschen so anfällig für Systeme, in denen sie mit Sehnsüchten einen Platz zu finden scheinen, den es in einer von der Ratio dominierten Welt nicht zu geben scheint. Es ist notwendig, dass erforscht wird, wo sich Mathematik und Spiritualität, Ratio und Intuition, Herz und Verstand berühren, damit wir lernen, wie auf einem tragfähigen und kollektiv verträglichen Weg Visionen zu gelebten Leben werden.

Ich bin Unternehmensberaterin und begleite häufig Frauen, ungewöhnliche, visionäre Geschäftsideen umzusetzen. Dazu gehören sowohl trockene betriebswirtschaftliche Kalkulationen und Marktanalysen wie auch das Herauskristallisieren der Vision, die mit einer Persönlichkeit identisch ist, der „Herzensbilder“, die die Motivation zur Selbstständigkeit schaffen. Ideen auf diese Weise in der Welt lebendig werden zu lassen, ist tatsächlich ein Prozess, wo der Geist zu Materie wird.

Das ist mit Mathematik und viel Arbeit verbunden aber auch vital und schöpferisch. Mit der kreativen Intelligenz, die aus dieser Verbindung entsteht, fügen viele Frauen dem ökonomischen System und der tatsächlich oft auf reinen Profit ausgerichteten Wirtschaft etwas hinzu, was neu, subversiv und evolutionär ist.

Herzkreise sind dagegen geprägt von einem regressiven Impuls, der überlebte Bilder von Weiblichkeit – z.B. das Frauen nicht zu ihrer Profitorientiertheit stehen dürfen, sondern statt dessen ihre Gier sozial ummänteln müssen – mit einem System spätkapitalistischer Ausbeutung verknüpft. Das Ergebnis ist etwas, wo einige daran gewinnen, dass viele verlieren. Und was zur Folge hat, dass kollektiv denen Futter gegeben wird, die weibliche Intelligenz, Integrität und das tatsächliche Potential von Fähigkeiten wie sozialer Intelligenz, Intuition, Gespür für feinstoffliche Energien, Netzwerkfähigkeiten abwerten.

Wir haben mehr und besseres verdient. Wir haben es verdient zu zeigen, dass der Mathematik, der Ratio, dem Profitdenken etwas hinzugefügt werden kann, was nicht nur emotional sondern auch materiell bereichert. Wir haben es verdient, daran zu arbeiten, dass Visionen wirklich zu Brot und vielleicht sogar Kuchen werden können. Wir haben es verdient, Weil wir besseres können, als eine Pyramide einen Kreis zu nennen und zu behaupten, das sagte uns unser Herz.

*(Gefunden im Forum von Lichtpyramide.de)

Zurück zu Erfahrungsberichte und weitere Texte


Letzte Änderung dieser Seite: 06.06.2003 © 2002-2003 Moritz Both. Alle Rechte vorbehalten. Für namentlich gekennzeichnete Beiträge liegt das Urheberrecht bei den jeweiligen AutorInnen. - Kontakt & Impressum