Opo: Beschreibung einer vergangenen Firma der New Economy
Der Autor dieses Textes hat in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre mal bei einem eher kleinen Internet Provider, genannt "Der Opo", in einer norddeutschen Großstadt gearbeitet. Der Text beschreibt die damaligen dortigen Zustände anläßlich der Einladung zu einer Betriebs-Feier für ehemalige MitarbeiterInnen in einer Zeit, als die Firma sich bereits in Auflösung befand (sie ist mittlerweile in mehreren Stufen in einem Weltkonzern aufgegangen, wobei bei Fusionen Synergieeffekte genutzt wurden, um redundante Strukturen aufzulösen). Der Text ist grimmig, und man merkt, dass der Autor mit dieser Vergangenheit immer noch hadert. Parallelen mit der Wirklichkeit wären also kein Wunder, Namen von Firmen und Personen sind jedoch geändert.
Offenbar ausgehend von der Idee, eine Party für ehemalige Mitarbeiter der Firma zu organisieren, wurde die Web-Seite "ex-opo.de" ins Leben gerufen. Auf der Web-Seite, die zunächst nur als Party-Einladung fungierte, gab es zwar nicht viel zu lesen, aber immerhin eine Art Einstimmung auf das, was dann auf der Party auch tatsächlich stattfand: Eine Fortsetzung dessen, was in der Firma von der Geschäftsführung als "Firmen- Philosophie" verkauft wurde. Zu einer Ehemaligen-Party einzuladen, indem man an Anekdoten "von damals" erinnert, scheint naheliegend. Ein fahler Beigeschmak kommt dann auf, wenn die Geschäftsführung freundschaftlich verulkt wird.
Ob die ehemalige Gesellschafter-Geschäftsführerin der Firma, Heidemarie Apel, eingeladen war, ist vielen nicht bekannt. Dass sie tatsächlich erschien, rief dann bei manchen Party-Gästen deutliches Erstaunen hervor. Es stand die Frage im Raum, welcher Art diese Party denn sein soll. Handelte es sich etwa um ein Betriebsfest?
Man muss hierbei sagen, warum der Unterschied zwischen einem "Betriebsfest" und einer von (ehemaligen) Mitarbeiter/innen organisierten Party so groß ist.
Die Firma, der OPO, war ein Unternehmen, dass in der sogenannten "New Economy" anzusiedeln ist. Wie viele der Firmen in dieser Szene galten eigene Regeln für das Leben in der Firma, wie sie ansonsten, in der "Old Economy", nicht mehr häufig anzutreffen waren. Die Natur dieser Regeln war arbeitnehmerfeindlich und anti-gewerkschaftlich.
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Es ist unbestritten, dass das Management einer Firma im Kapitalismus die Geschäftspolitik bestimmt. Dabei muss es sich aber an geltendes Recht halten und dazu gehört auch das Arbeitsrecht. Teile des Arbeitrechts dienen dazu, die Interessen der Arbeitnehmer/innen zu schützen; sie wurden größtenteils seit rund hundert Jahren von den Gewerkschaften erstritten. Zu diesen Teilen gehören der Kündigungsschutz, die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers und die Betriebsverfassung.
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Es ist ebenfalls unbestritten, dass Entscheidungen des Managements einer Firma im Kapitalismus nicht immer für alle Angestellten vorteilhaft sein können. Wenn jedoch Entscheidungen eine deutliche negative Auswirkung auf Angestellte haben, so ist es nur fair, zu versuchen, sich gütlich zu einigen und für alle Beteiligten eine gute Lösung zu finden. Das ergibt sich vor allem aus den Grundsätzen des menschlichen Miteinanders in unserer Kultur. Gefragt sind, wie überall, wo Menschen aufeinander treffen, Auseinandersetzungs- Fähigkeit, Gesprächswille und -fähigkeit und die Bereitschaft, sich auf andere einzulassen und auch ihre Belange in Entscheidungen einzubeziehen.
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Der Erfolg einer Firma kann nicht allein an ihrem Umsatz, ihrem Gewinn und ihrem Wert gemessen werden. Aus der Sicht von jemandem, der nur Geld verdienen wollen würde, wäre das sicherlich zulässig; jedoch sind alle, die mit einer Firma zu tun haben, auch soziale Wesen. Die meisten Menschen in unserer Kultur streben vor allem nach Glück - auch wenn sie es oftmals direkt mit Geld verwechseln. Der Erfolg, so wie ich ihn verstehe, bemisst sich vor allem daran, inwiefern ein Arbeits- und Lebensraum existiert, in dem sich die Menschen - die immerhin rund ein Drittel des Arbeitstages dort verbringen - wohl fühlen.
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Im OPO wurde von der Geschäftsführung, aber auch von einer Reihe von Mitarbeitern, ein ungeschriebenes Regelwerk in Kraft gehalten, das verblüffend einfach erstrittene Arbeitnehmer-Rechte ausser Kraft setzte. Das Regelwerk wurde als "OPO-Philosophie" bezeichnet und bestand im Kern aus folgenden Leitsätzen:
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Angestellte sollten keine Forderungen stellen.
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Wenn alle gut arbeiten, geht es der Firma gut, und dann haben alle etwas davon.
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Wer gut arbeitet, wird auch gut bezahlt.
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Zur regelmäßigen Geschäftspolitik des OPO-Managements gehörte es, Angestellten von heute auf morgen zu kündigen. Dabei wurde das Arbeitsrecht und die Arbeitsverträge grob missachtet, indem die Kündigung oftmals fristlos unter Angabe fadenscheiniger Gründe ausgesprochen wurde. Regelmäßig ergab eine Auseinandersetzung zwischen eingeschalteten Anwälten, dass der OPO eine Abfindung zahlen musste - was freiwillig zunächst nicht zugestanden wurde.
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Persönliche, private Beziehungen zwischen der Geschäftsführung und Mitarbeitern gab es vereinzelt. wie es sich herausstellte, wurden diese Beziehungen in dem Moment weggeworfen, in dem die betreffende Person - vermeintlich - keinen Wert mehr für die Firma hatte.
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Zur Geschäftspolitik des OPO gehörte auch, Angestellte persönlich anzugreifen und sie "zur Sau zu machen". Die Geschäftsführerin nutze die Autorität, die ihr diese Position gab, um einzelne Mitarbeiter zurechtzustuzen.
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Es gab Entscheidungen des OPO Management, die für viele nicht nachvollziehbar waren. Oft ergab sich der Eindruck, dass sie "aus dem Bauch heraus" gefällt wurden. Darunter waren auch Personalentscheidungen (Entlassungen oder Aufkündigungen von Zusammenarbeit mit Honorarkräften).
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Ob es nun tatsächlich ein schlechtes Betriebsergebnis schuld war oder nur eine Laune, kann nicht beurteilt werden, aber es gab Situationen, in denen die Geschäftsführung völlig unnötig das Betriebsklima belastete, etwa indem Sitzbälle (Gymnastikbälle), die versprochen waren, doch nicht bezahlt wurden, oder indem die geplante Weihnachtsfeier abgesagt wurde. Solche "Strafaktionen" der Geschäftsführung hatten aber wohl den erwünschten Erfolg: Jede/r passte wieder auf, was sie oder er sagte. Interessant daran ist aber vor allem, dass so die Verantwortung für eventuelle schlechte Ergebnisse den Kollektiv der Mitarbeiter zugeschoben wird - dass das Management eventuell Fehler gemacht haben könnte, fällt niemandem ein.
Zusammenfassen kann man sagen: Der OPO wurde nicht gemanaged, sondern regiert. Die Staatsform war eine Monarchie, und die Königin hieß Heidemarie Apel. Befindlichkeiten beeinflussten Entscheidungen. Mitarbeiter wurden so lange benutzt, wie sie scheinbar den Firmen-Wert erhöhten. Wer - scheinbar - nicht genügend funktionierte, wurde unter Verwendung von rechtswidrigen Mitteln und ohne jede Rücksicht auf die Person rausgeschmissen. Sinn des ganzen war vor allem die Akkumulation von Kapital - mit anderen Worten, die Geschäftsführung wollte noch reicher werden, und das ist ihr auch gelungen.
Wer vor diesem Hintergund der Firma positives abgewinnt, kann das natürlich jederzeit tun. Wenn man die genannten Punkte anspricht, erlebt man heute zuweilen, wie die angesprochenen ehemaligen Kolleg/inn/en schnell das Thema wechseln oder dringend etwas anderes zu tun haben - dieser Effekt ist erstaunlich. Wer sich nicht abwendet, nennt womöglich positives über den OPO:
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Immerhin sei es der Geschäftsführung gelungen, "den Laden zusammenzuhalten".
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Woanders sei es schlimmer.
Der erste Punkt ist natürlich korrekt, aber man muss fragen: Auswelchem Grund haben sie den Laden zusammengahlten, und zu welchem Preis? Wer ist der "Laden"? Die Firma existiert noch, aber sie wird derzeit praktisch aufgelöst. Der Mitarbeiterstab hat sich schon massiv reduziert, und viele Dienste wandern in die Zentrale der Muttergesellschaft. Da muss man doch fragen, wenn der Laden denn zusammengehalten wurde, warum wird er es denn dann jetzt nicht mehr? Was ist passiert? Die Antwort ist einfach: Der Laden ist in Zukunft nicht mehr so profitabel wie bisher. Wirklich große Internet-Provider werden das Geschäft zukünftig machen, und da ist es besser, man verkauft jetzt als später.
Sicherlich sind die Zustände woanders schlimmer. Das hindert einen doch aber nicht daran, die Zustände zu kritisieren. Es gibt auch viele wesentlich bessere Arbeitsplätze, bei denen es sogar eine 38 Stunden Woche gibt.
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